Orff-Schulwerk

musica poetica

Weihnachtsgeschichte

 

Verfasser: Carl Orff, Gunild Keetman

Mitwirkende: Tölzer Knabenchor, Leitung: Gerhard Schmidt-Gaden; Salzburger Hirterbuben Tobi Reiser; Gesamtleitung: Carl Orff

Format: Vinyl, LP

Label: Harmonia Mundi ‎– HM 25 163/HM 30150 [Neuauflage: BASF ‎– 15 20301]

Publikationsjahr: o. D. [vor 1964]

Inhalt
1 Einleitung

2 Hirten auf dem Felde

3 Pastorale

4 Verkündigung

5 Gloria

6 Die Hirten zueinander

7 Marsch der Hirten

8 Vor der Krippe

9 Benedicamus

10 Kindlwiegen

11 Marsch der Heiligen Drei Könige

12.a Reverenz

12.b Der Mohr

12.c Die ganz große Reverenz

12.d Abzug der Heiligen Drei Könige

13 Dormi Jesu

14 Gloria

Kommentar
Weihnachts- und Krippenspiele sind in keiner anderen Gegend so zahlreich und so verwurzelt mit Land und Leuten anzutreffen, wie in den alpenländischen Gebierten Bayerns und Österreichs. Hier ergriff eine dem Volk offenbar angeborene, echte Leidenschaft zum Theater Besitz von dem biblischen Stoff der Christgeburt, um ihn jahrhundertelang auf vielfältige Weise und durchsetzt mit heimatlichem Brauchtum darzustellen.

Den Anstoß dazu gaben lateinische Weichnachtsspiele, wie sie in den Freisinger Handschriften des 10. bis 12. Jahrhunderts (das Spiel von den Magiern und Herodes und das Spiel um Rachel) und in dem Benediktbeurer Christgeburtsspiel (»Ludus de Nativitate Domini«) des 13. Jahrhunderts bis heute erhalten sind. Beide schöpfen – zum Teil unter wörtlicher Wiederholung – aus den noch eng an die Liturgie gebundenen lateinischen Weichnachtsspielen Frankreichs (Orleans u. a.). Bald werden den geistlichen Szenen weltliche hinzugefügt. Die erweiterten Spiele finden dann häufiger außerhalb der Kirchen statt. Immer mehr verschafft sich dabei der örtliche Dialekt Eingang, zuerst in den weltlichen Szenen, bis endlich das Lateinische überhaupt verdrängt und oft auch der biblische Schauplatz von Betlehem bedenkenlos in die heimatliche Landschaft verlegt wird. Allgemeine bedeutet allmählich der Gebrauch des Dialekts die Vorbedingung, unter der ein Stück sich in einer Gegend ansiedelt, als »Eigengewächs« gewertet wird und Tradition erreicht. Den Schwerpunkt dieser Spiele bilden in der Regel die Hirtenszenen und die Szenen der Verkündigung der Christgeburt im Stall zu Betlehem, dabei das »Kindlwiegen«, das schon eine Tegernseer Handschrift Anfang des 15. Jahrhunderts überliefert, mit dem Dialog zwischen Maria und Joseph und der bis heute lebenden Melodie: »Joseph, lieber Joseph mein, hilf mir wiegen mein Kindelein!« Auch die Szenen der Drei Könige, ihre Fragen an Herodes und ihre Anbetung im Stall zählen zum festen Bestand. Dazu treten auch andere Szenen der bilischen Geschichte (z. B. die Propheten, der Kindermord zu Betlehem, die Flucht aus Ägypten u. a. ). Aus der Vielzahl der Orte in denen sich – wie überall in Europa – Weihnachtsspiele bis ins 20. Jahrhundert erhalten haben, seien im oberbayrischen Raum genannt: Laufen, Seebruck, Wessen, Eisenärzt, Pfaffenhofen am Inn, Gerolzhausen bei Brannenburg, Niederaudorf, Traunstein, Rosenheim u. a. Der Fortbestand der Spiele aber ist – trotz vielseitiger Bemühungen – durch die kulturelle Entwicklung der Gegenwart ständig gefährdet.

Carl Orff, einer der großen schöpferischen Gestalter des Theaters unerser Zeit, hat – wohl in Erkenntnis dieser Gefahr und im Bewußtsein der eigenen Verpflichtung für die Erhaltung heimatlichen Volkstums – seine Aufmerksamkeit auch dem Weihnachtsspiel zugewandt. In seiner »Weihnachtsgeschichte«, die er, im Rahmen seines Schulwerks, für Kinder und zur Aufführung durch Kinder geschrieben hat, schuf er ein Spiel, in dem alle Elemente der alten Weihnachts- und Krippenspiele zu neuem Leben erwacht sind. Dazu schrieb Gunild Keetman, die auch seine ständige Mitarbeiterin am Schulwerk ist, die Musik. In diesem Spiel gelingt ihm das Schwierigste aller großen Kunst: einfach, volkstümlich und gemütvoll zu sein, ohne ins Banale und Sentimentale zu verfallen. So formt er gegensätzliche Bestandteile zu einer organischen EInheit: er verbindet die bei aller Derbheit naiv-warmherzige Mundart der Hirten mit dem gehobenen Verkündigungsworten der Bibel und der hehren Friedensbotschaft der Heiligen Nacht an die ganze Menschheit, den Heimatbrauch des »Kindlwiegens« nach seiner uralten Melodie mt der orientalischen Atmosphäre der Drei Könige, die wie in einer farbenprächtigen Barockkrippe auftreten. Er läßt das anmutige Schlafliedchen »Dormi Jesu«, dieses lieblich-reine Zeugnis mittelalterlicher Verehrung des Kindleins in der Krippe, aufklingen und schließt mit dem Jubelgesang der Engel, dem Gloria des Friedens.

Aus der Schau der Kinder, in der Sprache der kindlichen Hirten, ist hier ein Werk entstanden, das sich schon heute einen bleibenden Platz im Herzen der Jugend – und nicht minder der Alten (die dabei wieder Kinder werden) – gesichert hat. Dieses Spiel ist auf dem Kulturboden des immer noch urwüchsigen bayerischen Alpenlandes erblüht und mit ihm durch den Dialekt verbunden. Wie aber die Weihnachtsspiele seit dem Mittelalter in allen Gegenden des Abendlandes durch die zunächst gemeinsame lateinische Sprache heimisch wurden, entwickelten sie sich dann in den verschiedenen Landessprachen und -dialekten. Sie haben längst ihren Weg in alle Gegenden Deutschlands und weiter ins Ausland gefunden und werden überall von den Kindern jeweils im heimischen Dialekt dargestellt.

Nachweise

Textnachweis Kommentar:

Paul Winter »Carl Orff – Weihnachtsgeschichte«, in: [Booklet] Carl Orff/Gunild Keetman (Hrsg.): Orff-Schulwerk. musica poetica 10. Weihnachtsgeschichte, LP, harmonia mundi, HM 25 163, o. D., S. 1 f.

Bildnachweis:

[Cover] Carl Orff/Gunild Keetman (Hrsg.): Orff-Schulwerk. musica poetica 10. Weihnachtsgeschichte, LP, harmonia mundi, HM 25 163, o. D.