Concento di voci
I. Sirmio
Tria Catulli Carmina
für sechsstimmigen gemischten Chor a cappella
Textdichter: Catull
Besetzung: gemischter Chor (SMezATBarB)
Sprache: lateinisch
Entstehungszeit: 1930
Publikationsjahr: 1932 [in: Catulli Carmina II]
Aufführungsdauer: 8′
Sirmio ist Teil des Zyklus Concento di voci
Aufführungsmaterial Schott Music
Werkteile / Gliederung
Multas per gentes
Sirmio »Paene, paene« [mit Tenor-Solo]
Inhalt
Texte:
I. Jam ver egelidos
Wieder ist Frühling: zerschmolzen die letzten Fröste.
Wieder: verbraust die Stürme der Winterwende.
Milde lebenweckende Lüfte wehen.
Laß, Catull, unter dir Phrygische Triften,
Unter dir Fruchtland Nicaeas, wo Schwüle schon brütet.
Steig auf zu den Bergstädten ostwärts, den hellen hohen.
Frühling ist wieder: dein Herz verlangt in die Weite.
Wiederum: Wander-Unruh beflügelt den Fuß dir.
Lebt wohl, ihr Lieben, auf lang! Gemeinsam zogen wir
Fort von daheim – zurück nun kehren wir einzeln,
Jeder für sich, zerstreut, auf getrennten Wegen.
II. Multas per gentes
Länder viel sah ich, viel Völker, viel rollende Meerflut durchmaß ich,
Und nun stehe ich hier, Bruder, an deinem Grab,
Daß ich das Totenopfer dir spende, den letzten armen
Abschied nehme von dir, von deinem schweigenden Staub.
Ach, schon früh hat das Schicksal, das unerbittliche, Bruder,
Fremd allem sterblichen Schmerz, dich mir, dem Bruder, geraubt.
Immerhin: dulde mein Tun und nimm sie an, diese Gaben,
Wie man nach altem Gebrauch Abgeschiedenen sie weiht.
Nimm sie, Geliebter, sie sind überschwemmt von den strömenden Tränen
Meines Herzens. Ade, Bruder, auf ewig ade.
III. Sirmio
Sirmio, Kleinod unter den Inseln und Halbinseln
Allen, die der Herr der Gewässer umfängt mit
Wüsten Meeren und ruh voll atmenden Landseen:
Endlich erblick ich dich wieder! Traumhaft ist mir
Zumute, daß ich nicht mehr im fernen Bithynien bin, auf
Trojanischem Blachfeld – sondern bei dir wie eh- und
Jemals. – O Lust: heimkehren, frei von Pflichten und
Sorgen, zur Flamme des eigenen Herdes und, müd von der
Mühsal, der freudlos bestandenen, in der Fremde,
Endlich aufs lang entbehrte eigene Bett sich
Hinstrecken dürfen: später Lohn für so viele
Plagen. – Gruß dir, zaubrisches Sirmio, teil meine
Freude! Wiegt sie, funkelnde Wellen! Umjauchzt mich,
All ihr Geister glücklicher Tage der Jugend!
(Übertragungen von Rudolf Bach)
Kommentar
Sirmio – das war der antike Name der heute »Sirmione« geheißenen Halbinsel am Südufer des Gardasees, dem benacus lacus der Alten. Auf ihr verlebte der als Sproß eines vornehmen und begüterten Veroneser Geschlechts 87 v. Chr. geborene und um 54 v. Chr. zu Rom gestorbene Lyriker Gajus Valerius Catullus, »der größte naive Dichter, den die römische Literatur der Welt gegeben«, eine glückhafte, behütete Kindheit und Jugend.
Die Sirmio-Gedichte entstanden 57 / 56 v. Chr., und zwar die beiden ersten in dem am Marmara- und Schwarzen Meer gelegenen kleinasiatischen Bithynien, damals bereits eine römische Provinz. Catull war dorthin, nach Art der jungen hauptstädtischen Patrizier, im Stabe des Proprätors C. Memmius, anscheinend eines ziemlich dunklen Ehrenmannes, für ein Jahr gereist; – nicht zuletzt, um, wenngleich vergeblich, von der zerrüttenden Leidenschaft zu einer Dame der römischen Society, der »Lesbia« seiner Gedichte, Vergessen zu suchen.
Dabei besuchte Catull auch das Grab seines innig von ihm geliebten Bruders, den ein Jahr vorher bereits, am Fuß des Stadthügels von Troja, das dort häufig grassierende Sumpffieber hingerafft hatte.
Das abschließende dritte Gedicht ist vermutlich im Frühsommer 56, bald nach des Dichters Heimkehr auf Sirmio, entstanden.
Diese drei lyrischen Arbeiten zeigen den eben Dreißigjährigen, auch außerhalb seiner unsterblichen erotischen Poesie, auf der einsamen Höhe klassischer Meisterschaft.
Rudolf Bach
Nachweise
Textnachweis Inhalt/ Kommentar:
Rudolf Bach [Nachwort], in: Carl Orff (Hg.): Concento di voci. Sirmio, Partitur, Mainz 1954, S. 3.
Bildnachweis:
[Titelseite] Carl Orff: Concento di voci. Sirmio, Partitur, Mainz 1954.